Grace Jones – Das Chamäleon der Popkultur

Grace Jones im Studio

Wenn man über die goldene Ära der Disco spricht, tauchen unweigerlich Namen wie Donna Summer, Chic oder Gloria Gaynor auf. Doch ein Name sticht hervor, nicht nur wegen der Musik, sondern wegen der radikalen Gesamterscheinung, die Klang, Mode und Identität miteinander verschmolz: Grace Jones. Sie ist mehr als nur eine Sängerin – sie ist eine künstlerische Naturgewalt, ein stilistisches Gesamtkunstwerk und eine der faszinierendsten Figuren der späten 70er und frühen 80er Jahre.

Von Jamaica nach New York: Der Weg zur Ikone
Geboren am 19. Mai 1948 in Spanish Town, Jamaika, wuchs Grace Beverly Jones in einem strengen, religiös geprägten Haushalt auf. Ihre Familie zog in ihrer Jugend in die Vereinigten Staaten, und sie landete schließlich in New York – dem pulsierenden Herz der damaligen Kunst- und Musikszene. Ihr erster künstlerischer Ausdruck manifestierte sich in der Modewelt. Mit ihrem kantigen Gesicht und der ausdrucksstarken Präsenz wurde sie schnell zu einem gefragten Model in Paris, wo sie u.a. für Yves Saint Laurent und Kenzo lief.

Doch es war ihre Rückkehr nach New York und der Eintritt in die Underground-Szene von Manhattan, die ihre Transformation zur Disco-Ikone einleitete. Dort, in legendären Clubs wie dem Studio 54, verbanden sich Musik, Mode, Performance und Exzess zu einer neuen Art von Glamour – und Grace Jones war mittendrin.

Die Musik: Disco mit einem Hauch Dystopie
Ihr musikalischer Durchbruch kam mit dem Album Portfolio (1977), das den Start einer Trilogie bildete, produziert von Tom Moulton – einem der wichtigsten Architekten des Disco-Sounds. Was Jones von anderen Disco-Künstlerinnen unterschied, war ihre Stimme: tief, androgyn, fast bedrohlich. Songs wie „La Vie en Rose“ (eine spacige, clubtaugliche Neuinterpretation des Piaf-Klassikers) oder „I Need a Man“ verliehen der Disco-Welt eine neue, unnahbare Coolness.

Mit ihrer zweiten Albumphase in den 1980ern – insbesondere Nightclubbing (1981) – verlagerte sich ihr Sound in eine avantgardistischere Richtung. Sie verband Reggae, New Wave, Funk und Disco auf eine Weise, die ihrer Zeit weit voraus war. Der Track „Pull Up to the Bumper“ ist heute ein Klassiker, der in keinem ernstzunehmenden Rückblick auf die Ära fehlen darf.

Die Erscheinung: Performancekunst in der Popkultur
Jones war nie nur Musikerin. Ihr gesamter Auftritt war eine Performance. Mit dem französischen Grafikdesigner Jean-Paul Goude – ihrem Partner und künstlerischen Kollaborateur – entwickelte sie ein radikales Image. Maskulin und feminin zugleich, futuristisch, oft bedrohlich. Ihr Look wurde zu einer Blaupause für unzählige Künstler*innen, von Madonna über Lady Gaga bis zu FKA twigs. Wo andere sangen, inszenierte Grace Jones.

Ob sie sich nackt in einem Käfig auf die Bühne schwingen ließ oder bei Interviews den Moderator aus dem Gleichgewicht brachte – sie forderte Aufmerksamkeit, Konfrontation und Neugier. Und sie bekam sie. Immer.

Bedeutung und Vermächtnis
Grace Jones sprengte nicht nur musikalische Genregrenzen – sie stellte auch gesellschaftliche Konventionen infrage: Geschlechterrollen, Schönheitsideale, die Beziehung zwischen Künstler und Publikum. In einer Zeit, in der Disco oft als hedonistisch und oberflächlich galt, brachte sie Tiefe, Intellekt und einen Hauch von Wahnsinn.

Heute wird sie nicht nur als Stilikone gefeiert, sondern auch als Vorläuferin queerer, nonkonformer Popästhetik. Ihr Einfluss reicht weit über die Disco-Kugel hinaus – in Mode, Kunst, Film (man erinnere sich an ihre unvergessliche Rolle als May Day in James Bond: A View to a Kill) und Genderdebatten.

Grace Jones hat den Disco-Sound nicht nur mitgeprägt – sie hat ihn erweitert, dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Und während andere dem Disco-Mythos irgendwann entglitten, ist sie geblieben: unangepasst, unantastbar, unerreicht.

Maschine trifft Mensch: Der Groove von Grace Jones
Als Grace Jones Anfang der 1980er Jahre in den Compass Point Studios aufnahm, verschmolzen dort nicht nur Kulturen, sondern auch Technologien. Besonders bei „Pull Up to the Bumper“ wurde ein Sound kreiert, der urbane Coolness mit karibischem Understatement verband – präzise, groovig, kantig. Was auf den ersten Blick wie ein typischer Drumcomputer-Beat klingt, entpuppte sich bei genauerem Hinhören als Meisterwerk hybrider Produktion.

Sly Dunbar, das rhythmische Rückgrat der Compass Point All Stars, spielte das Schlagzeug mit der Steifigkeit einer Maschine – bewusst, fast programmatisch. Gleichzeitig nutzte er frühe Drumcomputer wie die Linn LM-1, um synthetische Akzente zu setzen. Die Kick groovt trocken und pointiert, die Snare klingt kantig, die Hi-Hats schwirren mechanisch – ein Sound, der heute fast archetypisch wirkt.

Genau deshalb lässt sich der Beat auch heute noch erstaunlich authentisch reproduzieren – mit Klassikern wie der Roland TR-808, der Behringer RD-8 oder einem Sample-basierten Setup. Wer auf der Suche nach dieser charakteristischen Mischung aus mechanischem Drive und menschlichem Funk ist, findet hier eine Blaupause: Der Sound von „Pull Up to the Bumper“ war nie bloß Retro – er war schon damals visionär.

Der Beat erstreckt sich über einen Takt (16 Steps). Das Tempo beträgt 107 bpm, der Swing-Anteil liegt bei 59%. Statt Four-On-The-Floor, macht die KICK mit den Steps 1, 4 und 11 auf „funky“. Die SNARE kommt im Backbeat auf die Steps 5 und 13. Auf der HI-HAT sind Achtel agesagt. Interessanter ist das RIMSHOT-Pattern, das mit den Steps 1, 4, 5, 7, 9, 12 und 15 Bewegung in den Beat bringt.